Mein Herz in Havanna von

Mein Herz in Havanna

 TRAVEL. LOVE. CUBA.

Von Köln in das echte Havanna: ein Liebesroman mit karibischen Vibes inklusive Herzklopfen, Palmenrauschen und Happy End. Aber mit wenig Mojito.
Den trinken nur Touristen.

Die 29-jährige Maike braucht frischen Wind in ihrem Leben und lässt spontan den gut bezahlten Job im Kölner Automobilkonzern hinter sich.

Als Freiwillige unterstützt sie eine Hilfsorganisation in Havanna und taucht ein in das echte und raue Leben Kubas. Gemeinsam mit den Einheimischen bestreitet sie den Alltag voller Mangel, Perspektivlosigkeit und Armut. Gleichzeitig lernt sie wahren Zusammenhalt, Güte und Lebensfreude kennen.

Besonders die Kinder bezaubern sie mit ihrem süßen Grinsen. Aber nicht nur die haben es ihr angetan. Auch ihr attraktiver kubanischer Kollege Mateo, ein totaler Macho, fasziniert sie mehr, als sie zugeben will.

Um den Standort vor der drohenden Schließung zu retten, müssen die beiden leider noch enger zusammenarbeiten und kommen sich trotz aller Vorbehalte näher.

Doch die Zeit spielt gegen sie: Die Monate vergehen wie im Flug und Maike muss zurück.

Obwohl sie ihr Herz an Havanna verloren hat, ist sie fest entschlossen, wieder abzureisen. Denn sie hat sich geschworen, niemals auszuwandern, und schon gar nicht wegen der Liebe. Mat wiederum kann Kuba nicht verlassen.

Hat ihre Liebe eine Chance?

Ein Roman über das Aufbrechen und Ankommen. Und über die wahre Liebe, die einen alles überwinden lässt.

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Das Buch ist als Taschenbuch und eBook bei Amazon und Thalia erhältlich.

Mehr über die Autorin Katharina Pauter erfahrt ihr auf unserer Autor:innen-Seite.


Leseprobe

1. Kapitel Maike

Die Hunderten schwarzen Plättchen der monströsen Anzeigetafel am Frankfurter Flughafen schlugen sekundenlang klackernd um, bis sie mir den aktuellen Stand der Abflüge präsentierten. Und tatsächlich, zwischen allen möglichen Städten in nah und fern stand da auch mein Flug: »Havanna – elf Uhr fünfzehn von Terminal eins«. Ein Flattern machte sich in meiner Magengegend breit. O Gott. Zog ich das wirklich durch? Würde aus der spontanen Entscheidung in einer feuchtfröhlichen Nacht mit Svenja vor ein paar Wochen wirklich ein Sabbatical werden?

Menschenmassen mit nassen Schirmen, Trekkingsandalen und überladenen Gepäckwagen strömten an mir vorbei. Durchsagen in verschiedenen Sprachen klingelten mir in den Ohren. Ich atmete tief durch. In weniger als zwei Stunden würde ich den feuchten, aber nach Erdbeeren duftenden deutschen Frühsommer hinter mir lassen und in den kochenden Karibiksommer eintauchen.

Sonnencreme hatte ich Gott sei Dank genug eingepackt. Außerdem hatte Oma Marianne mir ihren Lieblingsstrohhut mitgegeben, zur Sicherheit. »Dort kann man ja nicht alles nachkaufen«, hatte sie gesagt und gelächelt. Das hatte der Reiseführer bestätigt, den ich noch fix gelesen hatte, um nicht völlig unvorbereitet an meiner Arbeitsstelle für die nächsten Monate einzutrudeln: der Hilfsorganisation STE – Strong Together Everywhere.

Neben mir tauchte Oma Marianne auf, die mich hierhergefahren hatte. Die zierliche Nase und die kölsche Frohnatur hatten meine Schwester Sarah und ich von ihr geerbt.

Im Gegensatz zu den beiden hatte es mich jedoch nie in die Ferne gezogen. Einzig die Enttäuschung darüber, dass Sarah kurz zuvor verkündet hatte, zunächst nicht aus Australien wiederzukommen, hatte mich dazu verleitet, ebenfalls in die Welt hinauszuziehen. Das und das Kränzchen Kölsch bei Sion.

Das erneute Rattern der Anzeigetafel zeigte mir, dass ich nicht träumte. Es war real. Nicht mehr lange und ich würde Deutschland verlassen. Meine Familie verlassen. Fahrig fuhr ich mir durch meine hellbraunen, schulterlangen Haare und stöhnte leise.

»Ach, Maike.« Oma legte den Arm um mich. »Ich weiß, et fällt dir schwer. Dat is ein großer Schritt, aber auch ene Chance.«

Bevor mir die Tränen kommen konnten, schmiegte ich mich in ihre Umarmung, und der Duft von gebackenen Äpfeln mit einer Prise Zimt stieg mir in die Nase, die es jeden Sonntag mit cremigem Milchreis gab. Ich schluckte. Nicht nur ihre hausgemachten Reibekuchen würde ich vermissen. Auch die Kaffeepläuschchen mit ihr würden mir fehlen, die wir öfter spontan einlegten, wenn ich nach dem Büro einfach eine Station früher aus der U1 stieg und bei ihr vorbeischaute. Was war, wenn sich alles änderte, während ich weg war? Wenn es Omi plötzlich schlecht ging? Sie wurde zwar immer auf maximal sechzig geschätzt, war aber in echt schon zehn Jahre älter.

Warum zum Teufel hatte ich Svenja nur zugesagt, als sie mir vorgeschlagen hatte, die Freiwilligenstelle einer anderen Freundin zu übernehmen, die gerade aus Kuba wiedergekommen war?

»Ich will dich nicht zurücklassen, Omi! Das alles war eine schlechte Idee. Eine saumiese. Die schlechteste, die ich je hatte.« Nun entwischte mir doch ein gequetschter Schluchzer, den ich schnell unterdrückte. Kurzerhand wand ich mich aus ihren Armen. »Komm, wir gehen einfach. Egal, ob der Flug teuer war.« Ich schnappte mir meinen Koffer und schritt zielstrebig in Richtung Parkdeck, auf dem Oma vorhin ihren klapprigen silbernen Polo mit den Marienkäferaufklebern abgestellt hatte. »Mit Glück sind wir in zwei Stunden wieder am Dom!« Nach der Drehtür schlug mir eine Böe mit lauwarmem Nieselregen entgegen, und ich nahm einen Atemzug der würzigen Luft. Hauptsache, wir nahmen den kürzesten Weg nach Hause.

»Kindchen, dat sind jetzt nur die kalten Füße.« Marianne stellte sich mir in den Weg und ihre grauen Dauerwellenlocken wippten, als sie nachsichtig nickte. »Et is ene wahnsinnig mutige Entscheidung. Und die richtige.«

»Wenn ich Udo jetzt sofort anrufe, dann schmeißt er meinen Antrag auf unbezahlten Urlaub vielleicht einfach in den Papierkorb. Das war immerhin mein Traumjob.«

»Hast du nicht erzählt, dat die Sabrina aus der Elternzeit zurück ist und der Knapp sich fast schon gefreut hat über deinen Entschluss?«

Ja gut, das stimmte. Indirekt hatte ich für ihn ein Problem gelöst, weil ich für Sabrina eingesprungen war, die jetzt ihren Arbeitsplatz in der Logistik bei dem Automobilhersteller wieder beanspruchte. Nur deshalb hatte er so kurzfristig zugestimmt.

Oma Marianne fixierte mich mit ihrem liebevollen Blick, den sie schon damals aufgesetzt hatte, wenn ich mit einem Bilderbuch bei ihr in der Küche geblieben war, während Sarah draußen im Hinterhof Schmetterlingen und ihren Träumen hinterhergejagt war. »Ming Leevje, meine Liebchen. Sarah is fott und kommt auch erst mal net wieder. Vielleicht war et kein Zufall, dass sie ihre wahre Liebe so weit weg gefunden hat.«

Mit einem Schnauben manövrierte ich meinen Koffer an ihr vorbei und nahm wieder Kurs aufs Parkhaus. »Als ob das wahre Liebe ist … Jake wird es sich bestimmt schnell anders überlegen. Hast du dir den mal angeschaut?« Gut, ich kannte ihn nur von ihren Instagram-Bildern, die genauso gut aus einer Surfzeitschrift stammen konnten, aber mit seinen goldblonden Wuschellocken, dem gebräunten Waschbrettbauch und den dichten Wimpern schien er mir ein echter Weiberheld zu sein. Wie hatte Sarah nur auf ihn hereinfallen können?

»Ja klar, den seh ich immer sonntags, wenn wir facetimen.«

Als Sarah ihre Rückkehr ans Rheinufer auf unbestimmte Zeit verschoben hatte, war Oma kurzerhand in einen Laden marschiert, wo sie sich das neueste Smartphone gekauft hatte. Seit sie den Technikkurs für Senioren besucht hatte, wusste sie mehr über die aktuellen Trends im Internet als ich.

»Schön, dann sieht wenigstens einer von uns sie.« Das klang jetzt schnippischer als beabsichtigt.

»Schätzelein, du hast den Kontakt abgebrochen.«

Ich bremste so plötzlich ab, dass Oma in mich hineinlief, die mir auf einem verengten Streifen des Gehwegs gefolgt war. »Ja. Und du kennst die Gründe. Ich war ihre beste Freundin seit fast dreißig Jahren.«

»Genau. Euch gab et nur im Doppelpack.«

»Bis sie einfach gegangen ist.«

»Eure enge Verbindung war schön. Aber …« Sie ließ ihren Blick über die Straße mit den Kurzhalteparkplätzen wandern, die heiß begehrt waren. Unmengen von Autos schoben sich durch die dunklen Pfützen, in der Hoffnung, Angehörige zügig ein- oder ausladen zu können. »Aber vielleicht hat Sarah ja Zeit für sich gebraucht? Um ihren Platz in der Welt zu finden? Sich selbst? Das wünsche ich dir jedenfalls auch in der Ferne. Dass du dich findest.«

Betreten sah ich auf meine Chucks und tapste mit der Sohle in eine Pfütze, sodass ich mein Spiegelbild nicht mehr sehen musste. Das stimmte. Hierzubleiben war keine Option. Zu Hause in Köln holten mich an jeder Ecke gute Erinnerungen ein. Sarahs türkise Lieblingstasse mit der abgeplatzten Stelle am Rand fing Staub auf dem Küchenregal in unserer Schwestern-WG, ihre rote Geranie ließ den Kopf hängen, weil ich im Gegensatz zu ihr keinen grünen Daumen hatte, und in Fritz’ Büdchen, unserer Lieblingskneipe, fragte ständig jemand, wann sie endlich zurückkam. Wie es mir ging, fragte niemand. Oma hatte recht, ich musste gehen. Ich war nur die zweite Seite einer Medaille.

»Außerdem brauchen die dich da, ming Leevje. Du wirst dir doch nicht die Gelegenheit entgehen lassen, den Kindern zu helfen?«

Mist, damit hatte sie mich. Das hatte mich auch letztens in der Brauerei überzeugt. Mein weiches Herz hatte entschieden, bevor mein Kopf Einwände hatte hervorbringen können. Svenjas Freundin Sandra hatte erzählt, dass verzweifelt eine Nachfolgerin für sie gesucht wurde, und mir auf ihrem Handy Bilder von Kindern mit Kulleraugen und nackten Füßen gezeigt.

Oma grinste mich an. Sie wusste, dass sie mich geknackt hatte. »Du kennst doch den Spruch …«

Widerwillig musste ich kichern und schniefte sehr unelegant. »Niemals geht man so ganz.« Eines von Oma Mariannes Grundgesetzen, das sie aus dem legendären Song von Trude Herr übernommen hatte. Sie öffnete ihre Arme, ich drückte mich fest an sie und sie rubbelte mir über den Rücken wie damals mit dem Handtuch nach einem heißen Schaumbad in ihrer antiken Wanne mit den Löwenfüßen, die sie inzwischen durch eine Eckbadewanne mit Sprudelfunktion ersetzt hatte.

»So ist’s recht, Mädchen. Wir facetimen einfach. Jetzt, wo ich dat kann.«

»Falls das in Kuba so einfach geht. Ich hab im Reiseführer gelesen, dass es nicht flächendeckend Internet gibt.« Ich deutete auf meinen Rucksack, den ich neben dem Koffer abgestellt hatte und aus dessen Seitentasche das bunte Buch ragte.

»Dat kriegen wir schon hin. Et hätt noch immer jot jejange.«

»Ich melde mich bei dir so oft ich kann.«

»Leb dein eigenes Leben. Dat is jetzt deine Aufgabe. Sei versichert, ich bin noch da, wenn du zurückkommst und dann erzählst du mir alles ganz genau.« Sie lächelte mich an und die Fältchen um ihre Augen wurden tiefer.

Plötzlich trat ein neckisches Funkeln in ihre Augen. »Falls du überhaupt zurückkommst. Vielleicht findest du ja auch die Liebe.«

Ich lachte herzhaft auf. Liebe war das Letzte, das ich suchte. Mir würde dieser Schnitzer nicht passieren. Ich würde mich bestimmt nie in jemanden verlieben, wegen dem ich auswanderte. Ich würde schön mit dem Verlieben warten, bis ich wieder in Kölle war, und dann würde ich mir ne nette kölsche Jung suchen, mit dem ich auch noch glücklich in Lindenthal wohnte, wenn er einen gezwirbelten Schnauzer trüge wie Horst Lichter. Ich seufzte tief. »Na komm, Omi. Dann lass uns gehen, bevor der Flieger doch noch ohne mich abhebt.« Ich schnappte mir meinen Koffer und den Rucksack und Arm in Arm schlenderten Marianne und ich unter der Abflugtafel hindurch in Richtung Sicherheitscheck.

***

»Willkommen im Land der Oldtimer, der Zigarren und des Cuba Libre. Willkommen in der Karibik.«

Unvermittelt kicherte ich über diese ersten Sätze im Reiseführer, der vom Frühsommerschauer vor dem Frankfurter Flughafen wellige Seiten bekommen hatte. Als sich der Tourist in der Schlange vor mir erstaunt zu mir umdrehte, steckte ich schnell wieder meine Nase zwischen die Seiten.

Es war so skurril, dass ich jetzt hier stand. Wenn mir das vor ein paar Wochen jemand gesagt hätte, hätte ich das niemals geglaubt. Dieser Gedanke wäre einfach völlig absurd gewesen.

Ich war eine 29-Jährige, die mit ihrer Heimat fest verflochten war. Ich liebte rheinischen Sauerbraten, ging sonntags mit Omi Marianne am Rheinufer spazieren und war schon Messdienerin im Dom gewesen. Das alles tauschte ich laut Reiseführer ein gegen blitzweiße Strände, Salsa und Rum. Ich würde das Leben auf der kommunistisch geprägten Insel erkunden und mein Spanisch verbessern können. Mein aktuelles Sprachniveau befand sich nämlich gerade auf Stufe drei, was bedeutete, dass ich genau drei Wörter konnte: hola, Mojito und despacito. Ja, wegen des Songs. Leider.

Ich schmökerte weiter durch den Reiseführer, den ich schon mehrfach gewälzt hatte: Straßenmusiker mit weißen Hüten vor knallbunten Kolonialhausfassaden, rostige Werbetafeln mit Che Guevara und das Kapitol, das dem in Washington nachempfunden war.

Die Schlange am Immigrationsschalter schob sich schneller voran als gedacht und schon war ich dran. Mit einer Hand fischte ich meinen Pass aus dem Rucksack, während ich versuchte, den Reiseführer so zu halten, dass nicht alle als Lesezeichen missbrauchten Kassenbons durch die Luft wirbelten. Der Blick des Beamten wanderte einige Male zwischen dem Passfoto und mir hin und her, aber sein Gesicht zeigte keine Regung.

Garantiert sah ich jetzt aus wie ein ausgiebig genutzter Besen, weil mir die Strähnen nach dem langen Flug wild vom Kopf abstanden.

Der füllige Beamte stellte mir eine Frage auf Spanisch, registrierte dann meinen entschuldigenden Blick und fragte in gebrochenem Englisch: »Sie unterstützen das kubanische Volk?«

»Ja, die Organisation Strong Together Everywhere.« Mit dem Gefühl, einen Zentimeter zu wachsen, nahm ich den Pass zurück, den er mir ohne eine Miene zu verziehen zurückschob. Mit einer trägen Handbewegung winke er mich durch.

Ich folgte den Schildern mit dem Koffersymbol in Richtung der reclamo de equipaje und als mir ein gut aussehender junger Flughafenangestellter in Uniform mit unverhohlenem Interesse einen spanischen Satz zuträllerte, wurde mir klar, dass eine mehrmonatige Abwehr der lokalen Männer eine ordentliche Herausforderung sein würde.

Mein kleiner Hartschalenkoffer flog als einer der Ersten auf das Band, was ich einfach mal als gutes Omen wertete.

Nach der Zollkontrolle gelangte ich in die Ankunftshalle des Aeropuerto Internacional José Martí, wo es von Leuten nur so wimmelte. Hunderte Touristen freuten sich aufgeregt schnatternd auf den Urlaub, holten ihren Mietwagen ab oder hielten nach den richtigen Hotelfahrern Ausschau. Ich konnte allerdings niemanden sehen, der ein Schild mit der Beschriftung »Maike« hochhielt. Laut Svenjas Freundin sollte mich ein gewisser sehr freundlicher Mateo abholen, mit dem ich zusammenarbeiten würde.

Er schien noch nicht da zu sein, deshalb beschloss ich, mir ein paar Bonbons zu holen, mein Hals kratzte nämlich ein bisschen von der eiskalten Klimaanlagenluft im Flugzeug.

Im Duty-free-Shop gab es ein breites Spektrum an Rum und Zigarren, das Trinkwassersortiment erwies sich jedoch als ziemlich überschaubar. Ich konnte mich zwischen zwei Sorten entscheiden: mit Sprudel oder still, aber die Limitation kam mir recht. Im Rewe meines Vertrauens war ich oft von der Auswahl regelrecht erschlagen und stand minutenlang wie versteinert vor dem zum Bersten gefüllten Regal, bis ich endlich die Entscheidung für ein simples Getränk treffen konnte. Jetzt war es ganz einfach: Ich nahm mir eine Flasche stilles Wasser, um meinen Hals zu schonen, und eine Packung Pfefferminzdrops. Auch hier gab es lediglich eine Sorte von einer Marke, die ich nicht kannte. Beim Kassieren pfiff der herausgeputzte Kubaner zwischen den Zähnen und sagte »Sehr süß« mit einem Nicken auf die Drops und einem kessen Zwinkern.

Ich seufzte und zahlte, ohne ihm noch einmal in die Augen zu sehen.

Als ich mit meinen ersten kubanischen Produkten in die Ankunftshalle zurückkam, war immer noch niemand da, der mich abholte.

Eine geschlagene Stunde später saß ich auf einer der Sitzbänke und begann langsam in Erwägung zu ziehen, dass dieser nette Mateo mich vergessen hatte. Svenjas Freundin hatte zwar angekündigt, dass er ziemlich kubanisch war, aber selbst für Latinos waren doch Verspätungen im Ausmaß von ganzen Stunden unüblich, oder? Im Reiseführer fand ich keine Info dazu.

Schnell schrieb ich eine Nachricht an Marianne, dass ich gut gelandet war, und hoffte, dass sie zugestellt wurde. Anders als Sarah hatte ich keine Freunde, denen ich hätte Bescheid geben können. Unsere Beziehung war immer so eng gewesen, dass es für mich keinen Platz für andere gegeben hatte. Seit sie weg war, hatte ich ab und zu im Büro mit Nick einen Kaffee getrunken, der bei einem Zulieferer arbeitete und manchmal Termine bei uns hatte. Der sah wegen seinen asiatischen Wurzeln interessant aus und auch irgendwie süß. Aber wir waren eher Bekannte. Wir hatten noch nicht einmal Nummern getauscht. Vielleicht könnte ich mich mal mit ihm treffen, wenn ich zurück war. Wie Nick wohl ein Schnauzer stünde?

Die Lautsprecherdurchsage knisterte mysteriös wie ein altes Autoradio und ich bildete mir ein, dass es eine persönliche Begrüßung war, obwohl die Dame vermutlich nur in ihrem rhythmischen Spanisch mitteilte, dass der Flug aus Cancún gerade gelandet war. Die Klimaanlage legte sich mächtig ins Zeug, das karibische Wetter draußen zu halten. Meinen groben Strickpulli enger um mich ziehend, starrte ich durch die Halle, aber mein Blick blieb an einem Typen hängen, der gerade durch die Schiebetür trat und einen Kofferwagen vor sich herschob. Einen Wagen, auf dem sich ein Surfbrett befand. War Surfen hier nicht untersagt? Sicherlich war die Location prädestiniert dafür. Gerade in Florida, das nur einen Katzensprung entfernt lag, war Surfen ja sozusagen Nationalsport. Okay, das mit dem Verbot hatte in Mariannes Reiseführer gestanden, die damals mit Opa Günther hierherreisen wollte, dann aber von den DDR-Behörden doch keine Ausreisegenehmigung erhalten hatte. Das war noch gewesen, bevor sie nach der Wende nach Köln gezogen waren. In meinem aktuellen »Lonely Planet« hatte nichts dergleichen gestanden.

Bevor ich mich in meinen Überlegungen verlor und diesen Mateo verpasste, flitzte ich lieber nur kurz aufs Klo. Falls er überhaupt noch kam. Darüber, was ich tat, falls nicht, würde ich nachdenken, wenn es so weit war.

Vor dem fast blinden Toilettenspiegel versuchte ich mich etwas zu richten, um einen guten ersten Eindruck zu machen. Schnell putzte ich mir die Zähne und brachte mit meinem kleinen Reisekamm Ordnung auf meinen Kopf, steckte mir das Top wieder in die ausgewaschene Jeans und wischte mit einem angefeuchteten Papier Staub von meinen Schuhen. Ein letzter Blick bestätigte mir, dass ich vorzeigbar war. So konnte ich in mein Abenteuer starten. Ich warf mir ein Lächeln zu und ging zu den Wartebänken zurück.

Mit einem lauten Seufzer ließ ich mich nieder, als ich eine junge Latina sah, die so wild mit einem Schild wedelte, dass man nicht lesen konnte, was darauf stand. Um das wieder wettzumachen, rief sie aufgekratzt: »Maike, Maaaaaike!« Ziemlich sicher war das nicht Mateo. Ob sie eine andere Maike suchte? Aber da bremste sie schon vor mir ab, beäugte mich und streckte mir ihre Hand hin, die ich perplex ergriff. »Du musst Maike sein, aus Alemania. Lo siento, entschuldige! Die Verspätung tut mir echt leid! Mat hatte eine Panne und ich bin dann … Ach, egal, auf jeden Fall war das ein richtig blöder erster Eindruck! Andererseits wohl immer noch besser als der, den Mat hinterlassen hätte.« Sie kicherte. »Sei froh, dass du den erst später zu Gesicht bekommst, wahrscheinlich heute Abend beim cena de bienvenida, dem Willkommensdinner. Ich bin jedenfalls Dominga, eine Kollegin von dir, freut mich.«

Während ihr Redeschwall auf mich niederging, hatte sie schon meinen Koffer geschnappt und war so schnell in Richtung Ausgang marschiert, dass ihr dicker, schwarzer, geflochtener Zopf fröhlich hin und her wippte und sie mich an Letty erinnerte, die Freundin von Dominic Toretto im Film »The Fast and the Furious«. Vermutlich war sie genauso schnell durch den Verkehr gedüst wie die Filmfigur, wenn sie nur der Ersatz war. Grinsend folgte ich ihr durch die quietschenden Schiebetüren der Flughafenhalle nach draußen und verließ neutralen Boden.

Da war ich.

Und das war also Kuba.

Tausend Eindrücke prasselten auf mich ein: hupende, röhrende Oldtimer, rhythmische lateinamerikanische Musik, aufgeregte, laute Unterhaltungen. Eine vollkommen neue Welt. Schwüle Hitze umfing mich und nach nur ein paar Schritten kitzelten mich Schweißtropfen zwischen den Brüsten. Ich streifte meine Strickjacke von den Schultern und genoss das Gefühl aufzutauen, reckte mich sogar ein wenig den Sonnenstrahlen entgegen.

Pastellfarbene Straßenkreuzer in verschiedenen Zuständen, manche schienen neuwertig, andere wiesen eindeutig Mängel auf, passierten im Schritttempo die staubige Straße des Terminals und Latinos mit Sonnenbrillen riefen und gestikulierten, ob wir ein Taxi bräuchten. Dominga winkte ab und wir wurden tatsächlich vom Haken gelassen.

»Keine Sorge, du bekommst noch früh genug die Gelegenheit, mit einem Oldtimer zu fahren.« Dominga verdrehte die Augen und grinste mich an. »Hättest du sogar schon gehabt, wenn unser Charmeur Mat es auch dieses Mal geschafft hätte, pünktlich zu kommen. Leider für ihn, aber zum Glück für dich ist die Karre seines Kumpels liegen geblieben und deshalb hab ich nun die Freude, dich hier zu empfangen.«

Mein Trolley holperte über den steinigen, staubigen Boden und Dominga gab sich Mühe, die tiefsten Schlaglöcher zu umfahren. Als wir an einem im Schatten geparkten Chevy ankamen, der schon recht schwach auf den Reifen zu sein schien, blieb Dominga stehen und kramte in ihren Shorts nach dem Schlüssel. »Ist zwar betagt und weniger beeindruckend als ein Oldtimer, aber zuverlässig.«

Auf der Rückbank zuckte ein Kopf nach oben: karamellfarbenes zotteliges Fell, eine längliche Schnauze und Schlappohren. Zwei Kulleraugen starrten mich an. Dann öffnete das Tier sein Maul und gab einen seltsamen Laut von sich.

»Hey, Lana! Ja, mi amor, ich hab dich auch vermisst, obwohl es nur ein paar Minuten waren!« Dominga strahlte über das ganze Gesicht, während ich abwechselnd sie und das Tier fixierte und zu begreifen versuchte, was hier vor sich ging.

Als sie die Tür der Rückbank öffnete, die gerade noch so in den Angeln hing, hopste Lana trotz ihrer kalbähnlichen Größe flink wie eine Ziege zu uns heraus. Lana streifte Dominga um die Beine wie eine Katze und gab das kurioseste Geräusch von sich, das ich je gehört hatte.

»Ich kenne keine andere Hündin, die einen gesünderen Appetit hat als du. Klar habe ich deine Lieblingsleckerlis dabei.« Während sie mein Gepäck in den Kofferraum packte, gab Dominga dem Tier ein paar braune Brocken aus der Hosentasche und plauderte einfach mit ihm weiter, als wäre es das Normalste der Welt. »Das ist übrigens Maike. Ich hab dir von ihr erzählt.«

Mich ignorierend zupfte Lana energisch mit dem Kopf an ihrer Hosentasche, in der sie wohl weiteres Futter vermutete.

»Du sprichst mit dem Tier«, stellte ich fest.

»Und du tust so, als sei das etwas Außergewöhnliches.« Dominga machte einen Pfeiflaut und der Wuschelhund hüpfte wieder grazil wie ein Reh ins Auto und machte es sich bequem.

Als Stadtmensch war das einzige Haustier, mit dem ich je in Kontakt gekommen war, der Goldfisch, den Marianne ein paar Monate lang gehabt hatte. Aber noch nicht einmal sie hatte mit dem Tier gesprochen, zumindest meines Wissens.

»Na komm, Maike, spring rein, bald gibt es Essen: Reis mit Bohnen und dazu Gurken aus dem eigenen Garten. Heute gibt es extra für dich den kubanischen Klassiker.«

Abgesehen von der Wartezeit war meine Ankunft ja doch noch erstaunlich positiv verlaufen, auch wenn ich dem Riesenhund noch nicht ganz traute. Lächelnd machte ich es mir auf dem durchgesessenen Beifahrersitz bequem und der Chevy rollte vom Flughafengelände. Das würde sicher ein tolles Abenteuer werden, auf das ich mich hier eingelassen hatte.


2. Kapitel Mat

Auf was hatte ich mich hier nur eingelassen? Inzwischen sah ich in dem ölverschmierten Muskelshirt so aus, als würde ich in der Hinterhofwerkstatt arbeiten, in der ich vor einer Stunde eingetrudelt war. Zum Glück hatte ich in weiser Voraussicht mein gutes Leinenhemd, die weiße guayabera, direkt nach dem Eintreffen ausgezogen und so vor Flecken gerettet.

Im Nachhinein betrachtet hätte ich das kubanische Sprichwort »Ich mache langsam, weil ich keine Zeit habe« befolgen sollen, vielleicht wäre mir dann nicht der Keilriemen auf dem Weg zum Flughafen gerissen. Außerdem wäre es besser gewesen, ich hätte den defekten Oldtimer einfach am Straßenrand zurückgelassen. Camilo hätte ihn dann schon abgeholt und ich hätte noch mit einem Taxi zum Flughafen düsen können. So hatte ich aber leider definitiv meine Chance verpasst, Maike abzuholen.

Mit beiden Händen kramte ich in einer Kiste voller Kleinteile. Was davon – el diablo – war nur ein Keilriemen?

Ich hätte es besser wissen müssen. Immerhin war ich selbst Kubaner. Camilo hatte am Telefon gesagt, er brauche nur ein paar Minuten vor Ort, um den Wagen wieder flottzubekommen. Das hatte zu schön geklungen, um wahr zu sein. War es auch. Als er nach gemütlichen zwanzig Minuten eingetroffen war, wurde aus ein paar Minuten fast eine Stunde, in der er in der sengenden Nachmittagshitze am Motor herumgebastelt hatte. Dann hatte er festgestellt, dass er das Ersatzteil nicht dabei, sondern in seiner Werkstatt hatte, die glücklicherweise um die Ecke lag. Seit wir also den Wagen im Schweiße unseres Angesichtes hierhergeschoben hatten, suchte er in aller Seelenruhe nach dem Ding, und mich hatte er gleich mit eingebunden.

»Hey, Mat!«, rief er und schlenderte auf mich zu. »Hast du es gefunden?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Tja, compañero.« Er zuckte mit den Schultern. »Scheint so, als hab ich doch keinen Passenden mehr. Muss ich bei meinem Cousin Rodolfo in Trinidad bestellen. Dauert ein paar Tage.«

So ein Mist. Wir Kubaner nutzten den Ausdruck ein paar Tage als Äquivalent zum arabischen Inschallah und zeitlich betrachtet konnte das alles bedeuten. Nicht nur, dass ich meinem Kumpel Ernesto sein Fahrzeug vorerst nicht zurückbringen konnte, ich hatte auch noch Maike verpasst.

Dabei hatte ich sie doch als Erster kennenlernen wollen. Allein dieser schöne Name. Maike. In den letzten Jahren hatte ich zwar einige Mädels gedatet, die süße blonde Cindy aus Sydney, die nette rothaarige Angela aus Kalifornien und erst die schwarzhaarige Schönheit Moana aus Tahiti, aber noch keine Maike. Außerdem war sie Deutsche. In meinem Kopf hörte ich sofort die Stimme meines Vaters, der in den höchsten Tönen von den deutschen Frauen schwärmte. Am meisten natürlich von Ingeborg, meiner Mutter, die ihn damals in der DDR im Tanzlokal verzaubert hatte.

Die Vorgängerin von Maike, die ein paar Monate hier gewesen war, war nett gewesen, aber mehr war definitiv nicht zwischen uns entstanden. Aber: neue Freiwillige, neues Glück. Deshalb hatte ich extra alle Geschütze auffahren und direkt mit Ernestos pinkem Pontiac Eindruck schinden wollen. Was ordentlich schiefgelaufen war. Zähneknirschend hatte ich Rieke, unsere Vereinsleiterin, von hier aus anrufen müssen und die wollte dann Dominga losschicken, um Maike abzuholen und zur STE zu bringen.

Wie sie wohl aussah? Eine Braunhaarige wäre zur Abwechselung mal schön, aber eigentlich war mir die Haarfarbe egal. Hauptsache, sie hatte dieses besondere Funkeln in den Augen. Das Flirten, das Knistern war es, das mich faszinierte. Meinen Auftritt am Flughafen hatte ich genauestens durchgeplant, denn der erste Eindruck war entscheidend für meine Strategie. Ich wollte, dass die chica sich vorkam wie in einer der schnulzigen Telenovelas, die immer abends im Fernsehen liefen, wenn es Strom gab. Sie sollte denken, dass das mit uns Schicksal war, sollte sich besonders fühlen wie eine princesa. Jetzt würde ich mir kurzfristig eine Alternative für unser erstes Treffen in der Unterkunft überlegen müssen.

Ich wusch mir die Hände mit Kernseife und grübelte. Bis ich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zurück sein würde, dauerte es sicherlich noch eine Stunde, obwohl es nun wirklich nicht weit war. Bis dahin würde das Abendessen sicher schon in vollem Gange sein. Im in die Jahre gekommenen Spiegel sah ich mich leider etwas verzerrt, strich mir aber mit den nassen Händen meine mittellangen dunkelbraunen Haare zurück, bis sie glatt am Kopf anlagen. Später würden sie wieder schön wellig fallen. Perfecto. Ein Pluspunkt, den ich gern ausspielte. Vielleicht war es gut, dass ich sie nicht schon am Flughafen kennengelernt hatte. Wahrscheinlich würde sie später, wenn sie angekommen war und gegessen hatte, viel entspannter sein und die erste Aufregung und der Stress der Reise würden sich gelegt haben.

Bestimmt spielte mir der Zwischenfall mit dem gerissenen Keilriemen in die Karten. Ich würde ihr später im schummrigen Dämmerlicht, das mir schmeichelte, ein unvergessliches erstes Treffen zu zweit bescheren und ihr tief in die Augen schauen. Zufrieden verabschiedete ich mich von den mecánicos und machte mich mit dem gefalteten Hemd in einer Plastiktüte auf den Weg ins Nachbarviertel von Havanna.