Isabelle darf endlich beruflich durchstarten und wird nach Tel Aviv geschickt. Am Strand trifft sie den gut aussehenden Eilon, der ihr Seiten des Landes zeigt, die sie als Ausländerin sonst nie gesehen hätte. Und er zeigt ihr eine neue Seite an sich selbst … Ihr Herz klopft schneller, wenn sie bei ihm ist. Doch sie sind so unterschiedlich.
Hat ihre Liebe eine Chance?
Leseprobe
Erwartungsvoll schiebe ich die Lamellen auseinander und linse aus dem Fenster. Noch immer kann ich es nicht glauben. Direkt unter mir am Ufer wogen majestätische türkisfarbene Wellen und unermüdlich tanzen hübsche Kronen aus weißem Schaum bis zum Horizont.
Entzückt durch diesen sagenhaften Anblick, ziehe ich die Jalousie nun ganz nach oben und schiebe das Fenster ein wenig auf. Eine frische Brise umspielt meine Nase. Ein paar Mal atme ich tief ein und aus. Schon immer liebe ich diese unberührte Morgenluft. Gepaart mit der ungewohnten Wärme und dem Meeresrauschen ist es ein perfekter Morgen.
Ich strecke meine Arme in die Höhe und beuge mich in dieser Haltung einmal nach links und nach rechts, ehe ich einen Blick auf die Uhr werfe. 7.25 Uhr. Mist. Eigentlich wollte ich schon an der Promenade sechzehn Stockwerke unter mir gejoggt sein, aber die Zeitverschiebung von einer Stunde und das so unglaublich gemütliche Hotelbett haben mich einfach nicht eher aus den Federn springen lassen.
In all den vergangenen Jahren habe ich nicht einen einzigen Tag auf das Laufen verzichtet. Das wird heute die absolute Ausnahme bleiben, aber an meinem ersten Tag gönne ich mir einfach diese kurze Auszeit und schiebe die Stimme meines Vaters in meinem Kopf zur Seite, die sagt: »Nur mit eiserner Disziplin bringt man es zu etwas.«
Denn letztendlich ist es auch ihm zu verdanken, dass ich tatsächlich hier gelandet bin, als Marketingleiterin der neu übernommenen israelischen Niederlassung meiner Firma.
Erst vor wenigen Wochen berichtete ich meinen Eltern und meiner Oma beim gemeinsamen Osterfest von meinem sensationellen Jobangebot in Israel, der drittwichtigsten Start-up-Region weltweit, nach dem Silicon Valley und New York. Endlich konnte ich verkünden, dass sich der jahrelange Fleiß und Ehrgeiz ihrer einzigen Tochter beziehungsweise Enkelin ausgezahlt hatte.
»Menschenskinder, da bin ich aber stolz auf dich«, betonte meine Oma und schob umgehend die Frage hinterher, ob es sich denn um das Tel Aviv handele und ob das nicht gefährlich sei.
»Das ist schon alles nicht so schlimm, Oma. Sonst würden sie mich ganz sicher nicht hinschicken.« Ich gab ihr einen Kuss auf die ledrige Wange.
Mein Vater schenkte jedem Wasser nach. »Wir sind stolz, dass wenigstens du etwas erreicht hast.«
Für einen Moment herrschte Stille und ich war mir sicher, dass wir alle an dieselbe Person dachten. An Lukas, meinen fünf Jahre älteren Bruder.
Schließlich unterbrach meine Oma das Schweigen. »Und wirst du dann auch nach Bethlehem und Jerusalem reisen und dir die Grabstätte von Jesus anschauen?«
»Erstmal nicht«, antwortete ich, aber als ich die Enttäuschung im Gesicht meiner Oma sah, fügte ich schnell hinzu: »Erst heißt es Geld verdienen. All diese Ausflüge sollen schließlich nicht von meinen Ersparnissen bezahlt werden.«
Alle nickten wohlwollend.
Bei der Erinnerung an die Anerkennung meiner ganzen Familie lächle ich stolz, gehe ins Bad und binde mir meine langen blonden Haare zu einem strengen Zopf.
Bald möchte ich Stammkundin in den schönsten und teuersten Boutiquen von Neve Tzedek sein, dem Edelviertel von Tel Aviv, wie ich im Reiseführer recherchiert habe. Ich werde in den nobelsten Restaurants des Rothschild Boulevards speisen. Endlich ist die Zeit gekommen, mir selbst eine Belohnung zu gönnen, nach der langen Zeit des Schuftens.
Nicht nur meiner Familie konnte ich es endlich beweisen, sondern zum Beispiel auch meinem Exfreund Xaver, der mir trotz meiner Erfolge im Studium immer das Gefühl gegeben hatte, weniger wert zu sein, da ich nicht aus wohlhabendem Hause komme wie er. Eine Tatsache, die schlussendlich auch zu unserer Trennung führte, neben dem Fakt, dass er Katinka bei einer Geschäftsreise nach Moskau kennengelernt hatte.
Gott sei Dank muss ich sagen, denn jetzt werde ich mich endlich um mich und meine Bedürfnisse kümmern. Bald wird sich die Frage stellen, wer mir das Wasser reichen kann. Ich spucke die Zahnpasta ins Waschbecken und schüttele den Kopf. Nein, Xaver hat nun wirklich keinen Platz mehr in meinen Gedanken verdient. Genauso wenig wie all den anderen, neben denen ich mich wertlos fühlte, oder bei denen ich mich anbiedern musste, um dazuzugehören.
Das hier wird mein Neubeginn.
Ich springe hastig unter die Dusche und schreite danach ehrfürchtig zu meinem Kleiderschrank, den ich gestern Abend nach meiner späten Ankunft noch eingeräumt habe. Von kribbeliger Vorfreude erfüllt, greife ich nach dem schwarzen knielangen Kleid, das ich mir eigens für meinen ersten Arbeitstag hier in Tel Aviv gegönnt habe. Das seidige Gefühl auf der Haut, als ich es überstreife, ist herrlich.
Toll, dass ich nur noch die hauchzarten Strumpfhosen brauche. Ein weiterer Vorteil davon, hier zu arbeiten. Das Gefühl der dicken Nylons auf der Haut, die man im kühleren Deutschland um diese Jahreszeit noch braucht, ruft nämlich immer eine Gänsehaut bei mir hervor. Während es bei meinen Eltern gerade maximal zehn Grad bei Nässe sind, herrschen hier schon knapp über zwanzig Grad. In den nächsten Wochen und Monaten wird die Temperatur auf dreißig Grad steigen. Aber auch dann werde ich die zarten Strumpfhosen noch tragen. Erstens wegen der Klimaanlage in den Gebäuden und zweitens schreibt das der Business-Knigge vor, gerade im internationalen Bereich.
Lächelnd lasse ich meinen Blick noch einmal über das Meer schweifen, ehe ich das Fenster im Schlafzimmer zuziehe. Zeit zu gehen. Meine neue Stelle will schließlich auch physisch besetzt sein. Frau Steden, ab jetzt auch bekannt als Head of European and Middle Eastern Marketing Department, los geht’s.
Entschlossen schnappe ich mir meine Fendi-Tasche, schlüpfe in meine Louboutins und gehe zum Aufzug. Im Büro gibt es mit Sicherheit besseren Kaffee als in jedem Straßen-Coffee-Shop. Ein Pling ertönt und der Aufzug des Dan Panorama Hotels, in dem mich mein Arbeitgeber zur Langzeitmiete in einem Appartement untergebracht hat, macht vor mir Halt. Ich schreite hinein und blicke nochmals auf die Uhr.
Acht Uhr, ich bin gut in der Zeit.
Unten angekommen, bitte ich den Pagen, mir ein Taxi zu rufen.
Auf in ein neues Leben voller Erfolg und Ansehen.